Horst Gramß und sein Lebenswerk
Einer von Weißwassers besten Glasgestaltern wird heute 85. Das
Glasmuseum widmet ihm eine Sonderschau.
Von CONSTANZE KNAPPE
Einer der letzten lebenden Glasgestalter in Weißwasser begeht heute
seinen 85. Geburtstag. Horst Gramß selber winkt ab. „Auf die 85 lege ich
keinen Wert. Es gibt doch so viele Leute, die älter sind“, sagt er. Aber
eben nicht mehr so viele, die der Glasindustrie von Weißwasser in der
DDR zu internationalem Ruhm verhalfen. Das Glasmuseum Weißwasser widmet
ihm zu diesem Anlass eine Sonderschau. Auch wenn derzeit noch keiner
sagen kann, wann es überhaupt wieder öffnen darf.
Viele Objekte in der Sammlung sind Gramß-Gläser. „Er hinterlässt ein
großes Erbe, was vielen Menschen gar nicht so bewusst ist“, betont die
Museumsleiterin. Den Reiz der Sachen beschreibt Christine Lehmann so:
„Es sind klassisch schlichte, schöne Objekte, die so zeitlos sind, dass
man sie sich auch heute noch hinstellt und nutzt.“ Ein Teil der
Glaswaren sei sandgestrahlt oder mit Dekoren verziert. Das würde man
heute wohl nicht mehr so machen. „Es war der Zeitgeschmack. Mit den
Dekoren sollte auch Vielfalt gezeigt werden, die es in der DDR so nicht
gab“, sagt sie.
Geboren und aufgewachsen ist Horst Gramß im thüringischen Glasmacherort
Lauscha. Seine Eltern haben in Heimarbeit Christbaumschmuck gefertigt.
In der Fachgrundschule lernte er Kunstglasbläser. Zu Acht seien sie in
der Klasse gewesen, ihn wollte man an die Fachschule für angewandte
Kunst nach Magdeburg schicken. Die Eltern waren davon alles andere als
begeistert, bedeutete es doch, dass seine Hände für die Heimarbeit zu
Hause fehlten. Dennoch willigten sie schließlich ein.
Es sollten nur zwei Jahre sein
Nach Abschluss der Fachschule 1957 blieben Horst Gramß zwei
Möglichkeiten: Schmiedefeld am Rennsteig, wo es zwar eine Planstelle,
aber kein Geld dafür gab, oder die Oberlausitzer Glaswerke (OLG) in
Weißwasser, die ihm beides boten. Groß überlegen, das musste er da
nicht. Vom ersten, in Weißwasser verdienten Geld kaufte er sich ein
Fahrrad. Und er spielte bei Chemie Weißwasser Fußball. Man musste ihn
auch gar nicht lange bitte, denn das hatte er schon zu Hause in
Thüringen getan.
„In Weißwasser wollte ich nur zwei Jahre bleiben, in der Zeit viel
lernen und dann wieder zurück in die Heimat“, erinnert sich Horst Gramß.
Doch es kam ganz anders. Bei einer Feier auf die deutsch-sowjetische
Freundschaft lernte er seine spätere Frau Edeltraud kennen, die in der
Bärenhütte beschäftigt war. 1958 wurde geheiratet. Als Reservist wurde
er in eine Transportkompanie einberufen. Da zahlte sich aus, dass er
zuvor seine Fahrerlaubnis gemacht hatte. Als er von dem Lehrgang
zurückkam, bestellte ihn der Bürgermeister ein, um ihn zu überzeugen,
Kraftfahrer bei der Feuerwehr zu werden. Diese hatte zu jener Zeit „zwar
Autos, aber keine Fahrer“, weiß er noch. Er trat in die Freiwillige
Feuerwehr ein, gehört ihr noch immer an. Zu 60 Jahren Mitgliedschaft
ehrte ihn der Landesfeuerwehrverband 2019 mit dem Ehrenkreuz.
Es sprudelt nur so aus Horst Gramß heraus: Schließlich gibt es aus 85
Jahren eine Menge zu erzählen. Dass er fast 35 Jahre in ein und
demselben Betrieb gearbeitet hat, macht ihn schon ein bisschen stolz.
Im In- und Ausland sehr gefragt
Für 425 DDR-Mark war er Chef der OLG-Entwicklungsabteilung, die die
Muster entwarf. Weil es vor fast jeder Leipziger Messe Diskussionen
zwischen OLG und Bärenhütte gab, wer da wohl von wem abgekupfert habe,
bildete man eine gemeinsame Abteilung für Gestaltung, die auch für
Betriebe in Rietschen und Reichenbach arbeitete.
Horst Gramß wurde deren Leiter. Für die Messen stattete er die Verkäufer
mit Katalog und Dekorblättern aus, damit sie den Kunden die Neuheiten
veranschaulichen konnten. Nicht selten hat er Ideen für neue Entwürfe
gleich auf der Messe zu Papier gebracht. Gläser, Vasen, Krüge, Schalen –
all das fand reißenden Absatz. Im In- und erst recht im Ausland. Gramß
entwarf Bowlesets in Fassform, auch Bierschwenker für Abnehmer im
Westen. In einem Sonderauftrag wurden jedes Jahr 1.000 Sektkelche mit
der jeweiligen Jahreszahl drauf geordert. Nicht zu vergessen: die
Ausstattung für den Palast der Republik in Berlin. Der Aufbaustab
bestätigte die dafür entworfene Kelchserie. Zur ersten Auslieferung ist
Horst Gramß mit dem Lkw mitgefahren. Zur offiziellen Einweihung waren
auch Glasmacher aus Weißwasser eingeladen.
Für jeden Auftrag entstanden verschiedene Entwürfe. Einer davon wurde
dann produziert. Was nicht in die Auswahl kam, schaffte es mitunter als
Kleinserie in den Industrieladen in Weißwasser. Seine Skizzen hat der
Glasgestalter aufgehoben. Daraus ist später eine Broschüre entstanden.
Horst Gramß ist den Glaswaren aus Weißwasser auch als Ruheständler eng
verbunden. Nicht nur, weil er auf seiner Schrankwand eine ganze Reihe
gläserne rote Objekte und auf einem Regal gegenüber alles in Blau zu
stehen hat. Als Vorstandsmitglied im Förderverein ist er zweimal die
Woche im Glasmuseum anzutreffen. Mit seiner Sachkenntnis hilft er,
Anfragen zu beantworten, begutachtet Angebote aus Haushaltsauflösungen,
„wenn Glassachen viel zu schade zum Wegschmeißen sind“. Nebenbei ließ er
mal verlauten, sich nach diesem Geburtstag zurückziehen zu wollen. So
ganz ernst scheint er das aber wohl doch nicht gemeint zu haben. „Man
braucht eine Beschäftigung, sonst wird man ein bissel träge“, begründet
er.
Ein großer Wunsch bleibt
Horst Gramß hat Tochter und Sohn, zwei Enkel und sechs Urenkel. 2005
verstarb seine Frau. Seit zwei Jahren trägt er einen Herzschrittmacher,
ist aber noch recht fit, auch wenn alles ein bisschen langsamer geht.
Seinen Geburtstag feiert er heute mit der Familie im kleinen Kreis. 100
will er nicht unbedingt werden, aber schon noch ein bissel machen, wie
er sagt. Und dann hat er noch einen Wunsch: „Ich möchte ’ne Million
gewinnen!“. Damit würde er ein neues Glasmuseum bauen. Das jetzige sei
zwar schön, aber eben viel zu klein.
In der vorigen Woche wurde mit dem Aufbau der Ausstellung begonnen. Die
Museumsleiterin hofft insgeheim, Ostern wieder öffnen zu dürfen. Doch ob
dem tatsächlich so ist, das weiß noch niemand.
Quelle: Sächsische Zeitung, Ausgabe Weißwasser, vom 22. Februar 2021
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Horst
Gramß hat Gläser, Vasen, Kelche, Schalen, Kerzenhalter und Schüsseln
entworfen, die im In- und Ausland sehr beliebt und gefragt waren.
Dafür heimste der Glasgestalter Goldmedaillen auf der Leipziger
Messe und Designpreise ein.
© J. Rehle |
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Zur
Eröffnung des Lausitz Festivals in der Telux in Weißwasser wurde
Horst Gramß mit einer Installation am ehemaligen
Hartglaswannengebäude Respekt gezollt.
© J. Rehle |
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